Chirurgie trifft Kunst in Duino

Vom Krankenhaus zum Gesundenhaus

Wir haben Kärntner Chirurgen zu einem kreativen Workshop nach Duino begleitet. Dort haben sie Schere und Skalpell gegen Bleistift und Pinsel getauscht, ihre künstlerische Seite ausgelebt und viel für den stressigen Alltag im OP gelernt.

Ein spitzes und ein rundes Skalpell, eine längere und eine kürzere Schere. Das sind die bevorzugten Arbeitsgeräte von Georg Lexer, wenn er als Erster Oberarzt im LKH Wolfsberg am Operationstisch steht.

Sendungshinweis: „Servus, Srečno, Ciao“, 21. April 2012

Diesmal sitzt er mit Kollegen vor einem Zeichenblatt, visiert konzentriert ein Modell an und hat die Wahl, mit Blei-, Kohlestift, Kreide oder Pinsel zu operieren.

Oberarzt Georg Lexer ist überzeugt, dass bei der kreativen Arbeit am Zeichenblock viel für die tägliche Arbeit im Operationssaal erlernt werden kann. Deshalb ist er mit seinen Kollegen aus der Chirurgie am Rilke-Spazierweg unterwegs, um sie abzubilden.

„Erlebtes hilft in künftigen Stresssituationen“
Georg Lexer, Oberarzt: „Wir haben im Zuge der chirurgischen Ausbildung festgestellt, dass die manuelle Intelligenz einen wesentlichen Teil unserer Ausbildung ausmacht. Es werden dabei Bewegungsabläufe simuliert, die auch bei einer Operation stattfinden. Die Folge ist, dass durch diese ‚Geschicklichkeitsübungen‘ Nervenzellen verschaltet werden, die - vor allem in Stresssituationen - immer wieder abgerufen werden können.“

Der Ausflug in die Kunst sollte den Medizinern also einen neue Sichtweise schenken.

„Das Wesentliche ist die Reduktion“
Karlheinz Simonitsch, Künstler: "Primär wollen wir hier natürlich die Landschaft sehen, sie charakterisieren und darstellen.
Wir wollen aber vor allem auch eine Erkenntnis gewinnen: das Wesentliche ist die Reduktion - auf die bestimmte Fragestellung, die man letztendlich auch in seinem Leben gebrauchen kann: indem man sich dauf das, worauf es ankommt, konzentriert."

Neue Blickwinkel finden
Jutta Schatz, Oberärztin: „Ich möchte eine schärfere Sicht entwickeln und einen anderen Blickwinkel finden, als den, den ich sonst immer habe. Ich möchte quasi wieder mit offenen Augen schauen. “

 


Publiziert am 20.04.2012 im ORF: Servus.Crecno.Ciao

 

 

NACHBETRACHTUNG ZU EINEM EXPERIMENT

Das Wort „Begriff“ trägt in seiner Aussage dessen ursprüngliche Entstehung und somit Bedeutung: alles Geistige wird vorerst „begriffen“; die Hand „ergreift“ die gegenständliche konkrete Welt und erst danach können diese erkannten „Bausteine“ in unserer abstrakten geistigen Welt als Gedanken Eingang finden.

So erklärt sich der Terminus „Manuelle Intelligenz“. Das Spielverhalten ist Voraussetzung für geistige Fähigkeit und deren entsprechende Entwicklung.

Die gegenwärtige Welt schränkt aufgrund technischer Entwicklungen bisherige Erfahrungen ein. Die Hand wird zunehmend feinmotorischer Beanspruchung beraubt, die Tastatur zur Steuerung technischer Information bedient ein primitiver Tastendruck als einfachstes Bewegungsmuster.
Einstige Schreibübungen, diszipliniertes und anspruchsvolles Bewegen als Grundschulung, Haltung einnehmen und sich zugleich Halt geben und vieles mehr fehlen im Bewegungskanon schulischer und individueller (Aus-) Bildung.

Diese und ähnliche Gedanken führten dazu, dass ein vorerst nicht leicht verständlicher Kurs einigen Chirurgen angeboten wurde. Er galt als Experiment und basierte auf unterschiedlichen Beobachtungen: Einerseits zeigte sich, dass die Computer orientierte Fachausbildung auch zur Ausbildung von begleitenden „Eigenarten“ führte: Die virtuelle Welt entführt den „Benutzer“ in eine Parallel-Welt mit eigendynamischen Folgerungen. Am offensichtlichsten zeigt sich diese in Wirklichkeitsentfremdung und beliebiger Wiederholung in einer nicht bewältigten Stresssituation - fernab dem wirklichen Leben. In diesem gibt es keine Reset-Taste, Unliebsames findet seinen Fortgang, das Vergangene lässt sich nicht löschen bzw. rückgängig machen.

Der weitere Grund, dieses Wagnis einzugehen, bestand darin, mittels unterschiedlicher Materialien und Anforderungen durch handwerkliches Zeichnen und Malen feinmotorische Erfahrungen anzubieten, die folglich selbständig im privaten Bereich weitergeführt werden könnten.
Als Motiv bzw. Arbeitsthema wurde der „Mensch“ gewählt, und zwar in seiner direktesten und unmittelbarsten Entsprechung: als nackter Mensch – der Akt.

Die Themenwahl implizierte nicht nur ein fachübergreifendes Interesse. Es war sofort klar, dass dieses Thema eine Reihe anderer Themen nach sich ziehen würde. In seiner extremsten Form etwa bei der schwierigen Aufgabenstellung einen liegenden Akt als „Verkürzung“ darstellen zu müssen. Dass in diesem Fall nicht nur der Inhalt „Perspektive“ als zeichnerische Paradedisziplin (seit der Renaissance) thematisiert werde, sondern möglicherweise der liegende nackte Mensch als in einer Ausnahme-Situation wahrgenommen wird. Diesbezüglich sei auf den berühmten Bilder-Zyklus des Malers H. Boeckl hingewiesen, der von ihm des Nachts auf der Prosektur, vis a vis dem „Modell“, so eindrucksvoll gemalt wurde.

So war die Vorbereitung auf das Seminar umfangreich und gliederte sich in praktische und theoretische Bereiche. Vormittags wurde an zwei Aktmodellen fachspezifisch (Materialkunde, Proportionen etc.) im Atelier gearbeitet. Am Nachmittag war die theoretische Ausbildung zweigeteilt: Es wurden Disziplinen in Bezug Kunstgeschichte ebenso artikuliert wie Themen, die durch das Arbeiten am Modell animiert als ärztliche Fragestellungen zu intensiven Diskussionen führten.
Die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, das vor der vereinbarten Zeit selbständige Arbeiten am Akt, geringe Unterbrechungen und ein fast nie endender Komplex an Fragestellungen zeigte schon während des Wochenprogramms, dass Betroffenheit sich im besonderen Engagement seine Wege bahnt.

Die äußerst produktive Arbeitshaltung führte auch zu entsprechenden Ergebnissen und tiefen zwischenmenschlichen Erlebnissen.
Daraus ergaben sich spätere Treffen, anlässlich von Ausstellungen und ein sehr intensiver Maltag am Rilkeweg im italienischen Karst bei Duino.

Dieses Miteinander war letztendlich auch ein Gegenentwurf zur einsamen Computertätigkeit, denn es entsteht in dieser Isolation eine Gefahr:

Die zieht den Menschen in Lauterkeit und von der Lauterkeit in Einfältigkeit und von der Einfältigkeit in Unwandelbarkeit… (J. W. v. Goethe)

 

 

Kontakt

  • Evelyn Simonitsch-Kanduth

  • Feschnigstrasse 64, 9020 Klagenfurt

  • +43 - 650 346 5292

  • Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!